Lilly Perkins
Dhana
22.02.2024
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Barbara Palvin
Normalerweise war Lilly Perkins eine Meisterin darin sich aus dem selbst angerichteten Schlamassel auch wieder herauszuarbeiten. Und auch aus den Dilemmata, in die andere sie mitunter brachten. Kreative Lösungsansätze waren so zusagen ihr persönliches Spezialgebiet. In ihrer Kindheit hatte sie gedacht, dass sie von Pech verfolgt würde, immerhin hatte sie immer mehr Schwierigkeiten als ihre ältere Schwester Kathy, die oft schien, als hätte sie einen unsichtbaren Schutzschild gegen Unannehmlichkeiten. Mittlerweile sah sie es etwas differenzierter. Während Kathy nämlich ein sehr kommunikativer Mensch war, der gern Hilfe in Anspruch nahm und das Leben leicht nahm (von den vier Jahren mehr Lebenserfahrung mal ganz abgesehen), neigte Lilly eher zu Schüchternheit, Eigenständigkeit und Fatalismus. An Letzterem versuchte sie zu arbeiten. Immerhin war es zwar oft hilfreich sich das 'Worst-Case-Szenario' auszumalen, aber sicherlich nicht immer gesund. Um die Schreckensbilder zu verhindern, war Lilly allerdings entsprechend gut darin geworden, hart zu arbeiten, damit sie nicht wahr wurden. Jetzt allerdings hatte sie sich in eine Situation gebracht, aus der sie nicht ohne Blessuren allein herauskommen würde.
Das ihre große Schwester heiraten wollte, wusste Lilly natürlich schon lange. Ihr Verlobter war, soweit Lilly es einschätzen konnte, ein aufrichtiger, guter Mann und würde Kathy glücklich machen. Als die Jüngere vor gut anderthalb Jahren die Einladung erhalten hatte, war sie untypisch zuversichtlich gewesen und hatte selbstbewusst angekreuzt, dass sie in Begleitung erscheinen würde. Bis dahin wäre sie 30. Selbst wenn sie vielleicht keinen eigenen Verlobten vorweisen konnte, ein Freund, den man zur Hochzeit mitnehmen konnte, fände sich doch bestimmt. Sie hatte es satt am Single-Tisch zu sitzen und es ging immerhin um ihre Schwester, die sie schon lange damit nervte, dass sie endlich mal hinaus musste, um jemanden kennenzulernen.

Und vielleicht wäre das auch gar nicht so schwer gewesen, wenn sie das Loch, in das sie sich eingrub, an ihrem Geburtstag am 1. April (ihr Vater nannte sie gern seinen ganz persönlichen Aprilscherz) nicht noch tiefer geschaufelt hätte.
Nach zahlreichen Anrufen von Tanten und Cousinen, die ihr nur mal eben zum Geburtstag gratulieren und dabei alle mehr oder minder durch die Blume ihren Beziehungsstatus herausfinden wollten ('deine Familie muss das schließlich auch für die Tischordnung wissen'), hatte Lilly schließlich die Geduld verloren und ihrer Mutter gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen musste, weil sie mit ihrem Freund, ja ein fester Freund, zu Kathys Hochzeit erscheinen würde. Die helle Aufregung, in die das ihre Mutter versetzte, strafte all ihre Beteuerungen, dass sie sich um Lilly keine Sorgen machte, lügen.

Irgendwie schaffte Lilly es, sich mit der sehr fordernden Arbeit ihres ausgedachten Freundes um eine sofortige in Augenscheinnahme zu drücken, und glücklicherweise war sie in den kommenden Wochen selbst arbeitstechnisch so eingespannt, dass sie kaum Zeit hatte, länger über ihre Notlüge oder einen Wochenendausflug nach Hause nachzudenken. Nun, über das Glück konnte man vielleicht streiten. In jedem Falle war sie als Bühnenbildnerin der Lookingglass Theatre Company oft recht schubweise ausgelastet. Während der Planung des Stücks musste sie oft Überstunden ohne Ende machen, dafür war sie, wenn die Kostümproben begannen und das Bühnenbild fertig war, oft nur wenig beschäftigt. Während ihrer Arbeit kam sie natürlich durchaus mit Leuten in Kontakt, die das Vorspielen ausgedachter Tatsachen zu ihrem Beruf gemacht hatten, aber Lilly hatte weder den Mut noch das Geld einen von ihnen zu fragen, ob sie für eine kurze Zeitspanne ihren Freund spielen würden. Von den Gerüchten, die dies zur Folge haben würde ganz zu Schweigen. Nein, sie machte ihre Arbeit zu gern, als dass sie diese dafür gefährden würde, sich nicht vor ihrer Familie zu blamieren.

Dennoch, die Hochzeit rückte näher und während sie in ihrem hübschen, aber vollgestellten ein Zimmer Apartment in 4230-4238 S Michigan Ave saß, wurde ihr immer mehr bewusst, was es bedeuten würde, wenn sie Kathy anrufen würde und ihr sagte, dass sie nun doch allein zur Hochzeit käme. Sie hatte solchen Stress so kurz vor ihrem großen Tag nicht verdient. Schon allein, dass sie die Kontaktversuche in den letzten Wochen immer nur mit kurzen Nachrichten abgeblockt hatte, hatte zu sehr besorgten Reaktionen geführt. Und wie sehr ihre Mutter sich aufregen würde. Wie enttäuscht ihr Vater wäre, der sich am Telefon so für das Glück gefreut hatte, dass sie versicherte gefunden zu haben. 'Siehst du, letztlich hat es sich dann doch gelohnt zu warten', hatte er gesagt. Lilly wünschte sich nichts mehr als im Erdboden zu versinken. Genau diese Worte hatte sie sich gewünscht einmal hören zu können.
Immerhin war sie 30 Jahre alt und abgesehen von ein paar unglückseeligen Verliebtheiten, die zu nichts und wieder nichts geführt hatten, war sie ein Dauersingle geblieben. Natürlich war sie an diesem Zustand selbst schuld. Sie fühlte sich unwohl in großen Mengen fremder Menschen, auf Parties oder in Clubs jemanden kennenzulernen fiel also aus. Bei der Arbeit konzentrierte sie sich lieber auf Dinge, denn auf Menschen und ehrlich gesagt war der größte Teil der Männer dort nicht nur meinungsstark und selbstbewusst bis zur Arroganz, nein, sie waren auch tagtäglich von schönen, selbstbewussten Frauen umgeben, die die Aufmerksamkeit jedes Wesens in ihren Bann schlugen. Ein Mauerblümchen wie Lilly, die meist noch mit Kisten von Requisiten beladen war und die wusste, das ihre Kleidung robust genug für eine schnelle Streichaktion oder Möbelrücken sein musste, fiel da nicht wirklich auf. Eine Weile hatte sie es mit Online-Plattformen versucht, davon gab es inzwischen schließlich reichlich, aber abgesehen von sehr unwillkommenen Fotos, hatten sich daraus nur ein paar so desaströse Dates ergeben, dass sie diese Passage gern aus ihrem Leben gestrichen hätte.
Vielleicht hatte sie zu hohe Ansprüche. In der Schule war das definitiv so gewesen. Bücher, Filme, Serien und Theaterstücke, suggerierten ihr alle, dass Liebe etwas Allumfassendes, Unglaubliches und vor allem sehr leicht Identifizierbares war. Es war ein großes Gefühl und da Tennager-Lilly dieses nun einmal nicht empfand, hatte sie ihre Jugend mit sehr wenig Erfahrung im Beziehungssektor abgeschlossen. Vielleicht lag es auch daran, dass sie so schüchtern war, dass sie außerhalb des Unterrichts kaum mit jemandem redete.
Ihre Leidenschaft für das Entwerfen und Bauen von Requisiten und Bühnenbildern machte sie schon früh mit der Theater-AG bekannt, aber anders als die selbstbewussten, exzentrischen Schauspielkinder, war Lilly immer viel lieber hinter der Bühne und sah sich das Stück schließlich vom Zuschauerraum oder von hinter der Bühne aus an. Aber diese Leidenschaft zeichnete ihr dennoch einen Weg. Sie war in einer Kleinstadt in der Nähe von Eau Claire geboren und aufgewachsen, aber sie wollte mehr als bloß das kleine Community-Theater ehrenamtlich unterstützen. Also schrieb sie sich nach der Schule an einem College in Chicago ein, um dort Theaterwissenschaften, mit Nebenfach Design, zu studieren. Um möglichst viel Geld zu sparen, trieb sie sich selbst zu großen Anstrengungen in diesem Studium an und schloss es auch mit Bestnoten ab. Gern hätte sie noch eine Ausbildung zur Innenarchitektin drangehängt, aber sie fand eine Anstellung im Bühnenbildteam für die nächste Spielzeit der Lookingglass Theatre Company und stellte Weiterbildung erst mal zurück, bis sie einen Teil ihres Studienkredits abbezahlt hatte. Zwei Spielzeiten später legte die Intendantin ihr nahe, doch einmal bei Film und Fernsehen nach offenen Stellen zu suchen. Lillys Blick für kleine Details und besondere Gegenstände, die ein Set aufwerteten, war auf der Bühne quasi verschwendet. Und so kam Lilly über die Kontakte des Theaters an einen Zweitjob als Setdesignerin bei NBC Chicago.
Ihr Arbeitsleben ist also nicht Lillys Problem. Es ist zwar fordernd und zeitintensiv, aber sie mag ihre Arbeit und verbringt ihre Zeit gern damit, privat ist sie dafür ziemlich zurückgezogen. Sie hat zwar einige Freunde, mit denen sie gern ab und an ins Theater oder Kino geht, aber sie spart ihr Geld lieber als allein in den Urlaub zu fahren oder andere kostspielige Abenteuer auf sich zu nehmen.

Bis sie an einem schicksalhaften Tag das Purrfect Brew betrat, dachte sie, ihrer Familie ihre Lüge zu beichten, wäre eine unlösbare Aufgabe, aber vielleicht gab es ja doch noch eine Lösung für ihre akute Beziehungslosigkeit?

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